«Papi, ist dort drüben ein UFO gelandet?», fragt das Mädchen ihren Vater neugierig. Die beiden stehen auf der Dreirosenbrücke und blicken erstaunt rüber zum Novartis Campus. Seit kurzem befindet sich dort ein eigenartiges, rundes, schillerndes Teil, das irgendwie überdimensioniert ist – und gleichzeitig etwas fehl am Platz wirkt. Ein ausserirdischer Fremdkörper? Der neuste «Mystery Park» Erich von Dänikens? Weder noch. Es handelt sich um den «Novartis Pavillon», der als neuer «Ausstellungs-, Begegnungs- und Veranstaltungszentrum» ab dem 30. April eröffnet wird.
Prominent steht der Pavillon direkt am Rhein © Novartis
Kritik und offene Fragen Wie kam es zur Form des Pavillons? Mit vier Architekten wurde ein internationaler Wettbewerb durchgeführt. Neben dem auserkorenen Michele De Lucchi waren 6a Architects, Shigeru Ban sowie Smiljan Radic dazu eingeladen. Der Pavillon im Schatten des wunderbar-filigranen Asklepios-Hochhaus von Herzog & de Meuron steht städtebaulich problematisch: Er wirkt überdimensioniert und dominiert den Park zwischen Voltastrasse und Campus-Bebauung zu stark. Der Grünraum wird vom Pavillon erdrückt. Wieso hat sich die Stadtbildkommission hier nicht stärker eingebracht? Noch schlimmer wird es bei Nacht: Der Pavillon beginnt dann in den buntesten Farben zu leuchten. Das «Prinzip Fasnacht» ist hier offensichtlich gestalterisch Pate gestanden. Man wünscht sich insgeheim, dass die effekthascherische «Medienfassade» nicht allzu oft bespielt wird… Chefredaktor Patrick Marcolli fand in der bz Basel klare Worte: «Architektonisch ist der Pavillon weitgehend anspruchslos, er wirkt angesichts der grossen Architektur auf dem Campus wie ein Fremdkörper – ein Hightech-Fremdkörper.» In unmittelbarer Nachbarschaft zu Bauten von Diener & Diener, Sanaa oder Herzog & de Meuron falle seine Architektur deutlich ab. «Dieser kreisrunde Pavillon erscheint wie der Abschluss und eventuell auch der Abschied vom Campus-Gedanken. Und gleichzeitig will er ein Neustart gegenüber Basel sein», fasst es Marcolli treffend zusammen.
Finde den Kreis im Situationsplan © Grundbuch- und Vermessungsamt Basel-Stadt
«Verletzlichkeit des Lebens» Von der Form zum Inhalt: Der Pavillon dient dem Marketing. Das ist für eine Firma wie die Novartis legitim. Mit der multimedialen Ausstellung «Wonders of Medicine» bringt der Pharmamulti die Welt der Wissenschaft und der Medizin dem breiten Publikum näher. «Das neue Gebäude ist eine Weiterentwicklung des Novartis Campus Basel, den wir vor über zwei Jahrzehnten begonnen und in den vergangenen Jahren stetig ausgebaut haben. Der Novartis Pavillon steht für die Öffnung gegenüber der Gesellschaft und reflektiert unser Bestreben, die Pharmaindustrie besser verständlich zu machen und mit der Bevölkerung in einen Dialog zu treten», betont Verwaltungsratspräsident Jörg Reinhardt.
Blick in den SchoolHub im Novartis Pavillon © Novartis
Die Auststellung besteht aus vier Themenkreisen: «Verletzlichkeit des Lebens», «Vom Labor zum Patienten», «Schritte durch die Zeit» und «Zukunft des Gesundheitswesens». Diese Bereiche sollen die Besucherinnen und Besucher zum Nachdenken über Themen wie den menschlichen Körper, die Gesundheit, Chancen und Herausforderungen im Gesundheitswesen sowie die Rolle von Pharmaunternehmen bei der Entwicklung von Medikamenten anregen. Die Ausstellung befindet sich im Obergeschoss des Gebäudes, als Auftakt für den Ausstellungsrundgang dient ein kleiner Filmsaal im Mezzanine. Ergänzt wird sie im Erdgeschoss von einem Café, einem Veranstaltungsraum sowie dem SchoolHub, einem interaktiven Angebot für Schulklassen.
«Papi, ist dort drüben ein UFO gelandet?» © Novartis
«Nullenergie-Medienfassade» oder Greenwashing? Entworfen wurde der Novartis Pavillon von dem italienischen Architekten und Designer Michele De Lucchi. Er sehe die Kombination aus natürlichen Materialien und Technologie als Chance, «eine perfekte Umgebung für Begegnungen» zu schaffen. «Nachhaltigkeit spielt in seinem Entwurf eine zentrale Rolle», heisst es in der Medienmitteilung der Novartis. Leider finden wir sie im Pavillon kaum wieder. Die Fassade ist ein Hightech-Wunderwerk, dessen CO2-Bilanz in der Erstellung man lieber nicht allzu genau kennen möchte. Metall und Glas dominieren. Die Unterhaltskosten dürften enorm sein. Hat Nachhaltigkeit nicht auch eine ökonomische Dimension? Die «eindrücklich leuchtende Oberfläche» lade zum Entdecken ein, schreibt die Novartis. Für die leuchtende Nullenergie-Medienfassade sorgt eine Bespannung mit Photovoltaikzellen und 30’000 (!) LED-Leuchten, die «nachhaltig mit Solarstrom» betrieben werden. Der Pavillon ist eine absurde Blüte falsch verstandener ökologischer Nachhaltigkeit – ausgehend von einer falschen Technologiegläubigkeit. Mit dem Begriff «Nullenergie» und «Solarstrom» lässt sich vortrefflich Greenwashing betreiben. Und Marketing obendrauf: «Die Medienfassade dient zum Einen der Gebäudebeleuchtung und zum Anderen wird sie auf künstlerische Art und Weise als Kommunikationskanal genutzt. So geben unterschiedliche Bespielungen Aufschluss über den jeweils aktuellen Betriebsmodus des Novartis Pavillon», schreibt die Firma.
Die Fassade ist ein Hightech-Massanzug © Novartis
Wunder geschehen! Der Campus öffnet sich Bei aller Kritik folgt zum Schluss die gute Nachricht: Die verbotene Stadt namens «Novartis Campus» wird sich nach und nach öffnen. Die Öffnung findet in zwei Phasen statt. In einer ersten Phase wurde der Campus im vergangenen Jahr zunächst für die «Ansiedlung von Start-ups, Inkubatoren, Instituten, Unternehmen und Partnern» geöffnet. Hier stehen die wirtschaftlichen Interessen noch im Vordergrund. Besser wird es in der zweiten Phase, voraussichtlich im Herbst 2022: Dann wird der Novartis Campus während der Arbeitszeiten für die breite Öffentlichkeit zugänglich sein. Das ist ein wichtiger Schritt mit Vorbildcharakter. Der zweite Pharmariese rheinaufwärts sollte bei der Planung des Südareals dem Beispiel der Novartis folgen …
Text: Lukas Gruntz / Architektur Basel
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